Sozialwissenschaftler Holger Marcks spricht im Interview darüber, wie rechtsextreme AkteurInnen in den sozialen Medien Ängste schüren.
Sie beschäftigen sich mit den Erfolgen der extremen Rechten auf Social Media. Wenn wir in die USA blicken, wo die Gesellschaft gespaltener wirkt als je zuvor – sieht so das Zukunftsszenario für Europa aus?
Ausgeschlossen ist es nicht. Obwohl das politische System ein anderes ist, ebenso wie der Medienmarkt. Das Zwei-Parteien-System etwa eignet sich anscheinend gut für gesellschaftliche Polarisierung, wie wir bei Trump gesehen haben. Abgesehen davon sind die USA das Mutterland der sozialen Medien, dort sitzen die wichtigsten Plattformen. Der Anteil der Bevölkerung, die sich vorwiegend über die sozialen Medien informiert, ist größer als in Europa.
Zudem begann die Erosion des demokratischen Diskurses dort schon in den 1980ern. Damals wurde es einfacher, Radio und Fernsehen zu machen; religiöse Sender wurden aufgebaut, Phänomene wie Fox News kamen schließlich dazu.
Und das Gegengewicht zu absatzorientierten und ideologisierten Medien, die auf dramatische Nachrichten und permanente Aufregung setzen, ist nicht so groß wie in Ländern mit starkem öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Starke öffentlich-rechtliche Medien können also Schutz gegen Polarisierung und Desinformation bieten?
Man kann an den Öffentlich-Rechtlichen viel kritisieren, aber in Deutschland – und ich denke auch in Österreich – genießen sie großes Vertrauen. Natürlich sind sie in vielerlei Hinsicht nicht modern, viele Abläufe langsam, alternative Stimmen zu wenig präsent.
Das ist ein Vorteil der sozialen Medien: dass auch marginalisierte Gruppen stärker zu Wort kommen.
Das gilt allerdings leider ebenso für die Feinde der Freiheit, die von einer größeren Öffentlichkeit lange Zeit ausgeschlossen waren. Gewiss, die herkömmlichen Medien bieten der extremen Rechten genauso Raum. Aber auch das hat mit deren Erfolgen in den sozialen Medien zu tun, weil sie die Rechte somit journalistisch relevant machen.
Die Öffentlich-Rechtlichen mögen eine imperfekte Konstruktion sein, und sie funktionieren nur solange fortschrittlich, wie die demokratische Kontrolle funktioniert. Sie gewährleisten jedoch immerhin Mindeststandards eines aufgeklärten Diskurses, was ja unter anderem eine Reaktion auf die Erfahrung aus der Zwischenkriegszeit ist (als der Faschismus an Dynamik gewann und Massen erreichte, Anm.). Damals hat man gelernt, dass Infos, die Massen ungefiltert erreichen, immer auch Schaden anrichten können.
Holger Marcks ist Sozialwissenschaftler mit Schwerpunkt Radikalisierung. Gemeinsam mit dem Konfliktforscher Maik Fielitz schrieb er das 2020 erschienene Buch „Digitaler Faschismus. Die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus“ (siehe Buchtipps).
Wenn Rechtsextreme die sozialen Medien so erfolgreich nutzen, sollten sich andere Bewegungen, wie Fridays for Future, etwas davon abschauen?
Das Internet bietet neue Möglichkeiten für politische AkteurInnen aller Couleur. Auch Linke und Minderheiten konnten sich mehr Gehör verschaffen. Der Raumgewinn ist jedoch unzweifelhaft größer bei den Rechtsextremen.
Theoretisch kann man sich alles zu eigen machen, was sie anwenden: sich Trollarmeen aufbauen, emotionale Knöpfe drücken, dramatische Geschichten erzählen. Aber die extreme Rechte macht das alles ja nicht, weil sie so clever ist, sondern weil sie keine Bedenken hat, weil sie ruchlos ist.
Wenn man sich Werten der Aufklärung verpflichtet fühlt, ist es keine Option, sich systematisch Fake-Profile zu erschaffen, um den Leuten etwas vorzulügen.
Das heißt, der Linken steht die Moral im Weg?
Grundsätzlich verschiebt sich der politische Wettstreit immer mehr in die sozialen Medien. Die extreme Rechte konnte auf Social Media ein Publikum aktivieren, das vorher politikfern war. Weil eine andere Ansprache, andere Manipulationstechniken und ein anderer Zugang zu Politik möglich sind.
In der Folge beobachten wir eine Art digitales Wettrüsten, wobei der Rechten andere Waffen zur Verfügung stehen. Solange die Plattformbetreiber hier nicht stärker regulierend eingreifen, geraten Demokratinnen und Demokraten immer mehr unter Zugzwang, ähnlich fragwürdige Methoden anzuwenden.
Und: Wir tragen alle dazu bei, dass die Bedingungen für rechtsextreme Politik besser werden. Jeder hielte es für absurd, wenn der ORF alles veröffentlichen würde, was ihm zugeschickt wird. In den sozialen Medien passiert das ständig: Was man postet, führen die Plattformen der Öffentlichkeit zu. Als Nutzerinnen und Nutzer tragen wir alle dazu bei, dass dieses postredaktionelle Prinzip zunimmt.
Ist der digitale Faschismus, den Sie beschreiben, ein männliches Problem?
Der Appell des digitalen Faschismus lautet, die Nation sei bedroht und darauf müsse man reagieren. Das spricht Männer mit einer fragilen Identität an, die vielleicht auch eine Verunsicherung aufgrund des Wandels von Geschlechterrollen erleben.
Die rechtsterroristischen Taten der vergangenen Jahre, das waren eher jüngere Männer, die in Kontexten von Imageboards (siehe Glosar S. 31) oder Gaming-Kulturen unterwegs waren. Aber ein zu starker Fokus auf die Jugend geht am Problem vorbei. Die extreme Rechte insgesamt hat in den vergangenen Jahren vor allem bei Männern über 40 Jahren gepunktet, die sich mitunter über soziale Medien radikalisiert haben. Auf weiblicher Seite ist das nicht im selben Maße feststellbar.
Hat die Dynamik den Zenit erreicht?
Man kann hoffen, dass sich manche Effekte abschwächen, dass Medienkompetenz oder Gewöhnung an die Technologie das Problem mildern. So wie das bei anderen Medientechnologien war, die zunächst gesellschaftliche Turbulenzen erzeugt haben: die Druckerpresse, das Radio oder das Fernsehen.
Allerdings unterliegen diese Technologien heute einer Regulierung, etwa durch das Presserecht. Und die Digitalisierung scheint die Wahrnehmung der Menschen und damit die Fähigkeit zur politischen Verständigung noch viel drastischer zu verändern – zuungunsten demokratischer Diskurse.
Selbst mit exzessiven Löschpraktiken, wie sie mittlerweile stärker gegen Hassrede angewendet werden, beseitigt man nur einen kleinen Teil des Problems. Das zeigen neue Gefahren, die gar nicht aus der typisch rechtsextremen Ecke kommen: Radikalisierte Verschwörungsgläubige zeigen gerade, wie die Ausbreitung von postfaktischen Informationen generell zu alternativen Realitätswahrnehmungen führt. Je größer deren Verbreitung, desto wahrscheinlicher, dass jemand drastische Maßnahmen ergreift, im schlimmsten Fall gewalttätig handelt.
Interview: Christina Bell
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